ERÖFFNUNGSREDE | 6.QFFM
Laura Annecca und Regine Hader
© Foto by Ronny Heine
Laura:
Wir sind Regine und Laura aus dem Festivalteam und auch wir möchten euch gerne im Namen des ganzen Teams willkommen heißen. Vielen Dank, dass ihr hier seid! Wir freuen uns besonders, dass wir euch face-to-face begrüßen dürfen und so hoffentlich viel Austausch und Begegnung stattfinden kann – und natürlich darauf, mit euch gemeinsam die Filme zu genießen!
Bevor wir noch ein paar Hintergründe zum Film hören, möchte ich ein paar Worte zum Festival sagen bzw. zu dessen konzeptionellen und politischen Aspekten: Ein Herzstück des Kurationsprozesses ist die Thematik der Repräsentation – also im Grunde die Frage wer in der Filmlandschaft wen auf welche Weise darstellt und was sich daraus für Konnotationen ergeben. Es ist aber essentiell, dass wir die Ebene der reinen Repräsentationsfrage überschreiten und unsere Plattform insbesondere mit Themen und Menschen teilen, die Queerness als politischen, solidarischen und widerständigen Begriff lesen und leben. Deshalb zeigen wir euch Beiträge, die diverse Lebensentwürfe und Formen sexuellen Ausdrucks zulassen und erforschen und die nicht zuletzt infrage stellen, was als konventionell oder ‚normal‘ gültig ist. Ich persönlich finde entscheidend, dass wir uns nicht nur als queere homogene Masse repräsentiert sehen mit fixiertem Regelwerk, sondern finde Momente wichtig, in denen wir jedes Mal aufs Neue lernen, dass es immer möglich ist, sich als Community sichere, liebevolle, aufregende Räume aktiv einzufordern – ohne uns dabei selbst zu limitieren. Aus genau diesem Ansatz der Raumschaffung ist ein diverses Programm entstanden, das euch hoffentlich unterhält und fesselt.
In dem Film Shirley zum Beispiel bezeugen wir als Publikum, wie die berühmte Horror-Autorin Shirley Jackson in der ebenfalls verheirateten Rose nicht nur eine literarische Muse findet, sondern die beiden Frauen miteinander Liebe, Kreativität und Inspiration aus- und erleben, ohne sich dabei der klassischen Haus- und Ehefrauenrolle ihrer Zeit unterzuordnen und zeigen so eindrucksvoll ein Leben jenseits heteronormativer Monogamie auf.
Queere Erfahrung braucht Community: In Valentina schafft sich ein trans* Mädchen aktiv Räume für Identitätsentwicklung – nicht zuletzt über das sehr heilsame Konzept der queeren Freundschaft. Ich glaube ich spreche nicht nur für mich selbst, wenn ich behaupte, dass der Gedanke der queeren gewählten Familie ein bereichernder und vielleicht sogar ein lebenswichtiger ist, weil er zeigt, wie Gender-Identität und Sexualität eben nicht nur determinieren, wer wir sind und wen wir lieben, sondern auch solidarische und alternative Lebenswege aufzeigen.
Dabei müssen wir bei unseren Erfahrungen eben nicht zwangsläufig gesellschaftlich akzeptierte Perspektiven leihen: Bei Pleasure werden wir stattdessen dazu eingeladen, über das Erforschen der Pornoindustrie auf sehr ästhetische Art und Weise eine Co-Existenz von transgressive Sehnsüchten zu verstehen. Der Tabubruch ist und war schon immer ein wirksames Werkzeug, um neue Perspektiven und Fragestellungen zu eröffnen. Aber vielleicht auch, um sich selbst zu fragen: Wie kann ich leben? Wie will ich leben?
Queerness in der Filmkunst ist also nicht zuletzt auch als Transgression und Grenzüberschreitung zu lesen – sowohl inhaltlich als auch ästhetisch – und ist auch bei Passion aus unserer Midnight Madness-Schiene entscheidend. Maja Borg vereint in dokumentarischer Form die zunächst sehr extrem erscheinenden Gegensätze BDSM und Christentum. Mithilfe des Rituellen und Spirituellen führt sie Bedürfnisse, Emotionen und Konzeptionen zusammen, die über die uns bereits bekannten und ‚erlaubten‘ Annäherungsversuche unvereinbar erscheinen.
All diese Filme sind Beispiele, die darstellen, wie unter dem Begriff der intersektionalen Queerness verschiedene Lebens- und Ausdrucksformen von Sexualität, Liebe, Begehren und Identität verbunden werden können, die über eine stereotype Vermarktung von LGBTQIA+ Personen hinausgehen und uns als Publikum bewegende, ästhetische und liebevolle Zugangswege zu grenzüberschreitender Kunst ermöglichen.
Regine:
Diese Grenze trennt das Legale vom Illegalen; manchmal klar ausbuchstabiert in Gesetzen uns Strafen, wie es der Film Große Freiheit erzählt. Er beschäftigt sich mit Paragraf 175, der übrigens nach der Nazizeit ohne Änderungen von der Bundesrepublik Deutschland übernommen wurde und erst 1994 endgültig fällt. Genau diese Kontinuität erlebt der Protagonisten des Films: Nachdem er aus dem KZ befreit wird, in dem er wegen seiner Homosexualität sitzt, kommt er wieder wegen ihr ins Gefängnis.
Diese Filme, in denen sichtbar wird, wie Gesetze und Staaten direkt an den Lebensadern ganzer Bevölkerungsgruppen operieren, politisch spekulieren und sanktionieren, weisen direkt in unsere Gegenwart: Es liegt viel vor uns, juristisch und gesellschaftlich. In vielen Ländern, nicht zu Letzt dank unserer kolonialen Vergangenheit, werden queere Menschen verfolgt und bestraft, und auch in scheinbar liberalen Staaten kämpfen wir gegen strukturelle Ungleichheiten.
Seit es Filme gibt, gibt es queere Filme: Mal offensichtlich wie die Klassiker aus den 1920er und 1930er-Jahren „Anders als die Anderen“ und „Mädchen in Uniform“, an deren Ende die Protagonisten für gewöhnlich sterben müssen, mal in Form von queer codierten Figuren, deren Queerness aber nie ausgesprochen werden darf.
Mit unserem politischen Programm, das neben der Gegenwart auch verschiedene Momente queerer Geschichte untersucht, fördern wir zutage, welcher Wurzel eigentlich die Rhetorik des imaginierten, gut sortierten Paradieszustands der Cis-Heterosexualität entstammt, an dem jetzt angeblich nicht alles auf einmal geändert werden kann. Das ist falsch und es ist wichtig, das zu benennen, denn wir sind keine Neuheiten. Wir dürfen Dinge fordern, die für andere selbstverständlich sind: Ein Selbstbestimmungsrechte für trans Personen und das eine Mutter nicht ihr eigenes Kind adoptieren muss, weil sie lesbisch ist – das wäre mal ein Anfang; aber auch, dass wir uns außerhalb unserer angeblichen „Bubble“ nicht ständig erklären müssen. Wir kennen die Realitäten, nicht nur die gesetzlichen, die mit der Freiheit und dem Glück den Gendernormen nicht zu gehorchen einhergehen.
Das Queerness neu wäre und die prekäre Situation normal, man daher für jeden Millimeter Freiheit lange verhandeln muss, gehört in die uralter Trickkiste konservativer Dominanzgesellschaften. Filme wie Große Freiheit positionieren sich gegen das Vergessen unserer Geschichte. Gegen das Vergessen inhaftierter Schwuler. Wir hoffen auch auf Filme über die vielen anderen queeren Geschichten dieser Epoche (zum Beispiel von queeren weiblichen und nonbinären Personen, für deren Erforschung bis heute kaum Gelder zur Verfügung stehen.)
Queere Geschichte steht in keinem einzigen verpflichteten Lehrplan.Nicht in Deutschland und auch sonst nirgendwo. Die Meldung, dass Schottland sie bald als erstes Land weltweit verbindlich unterrichtet, hat mich irgendwo zwischen Hoffnungsschimmer und Weltschmerz versetzt. Filme wie Rebell Dykes zeigen, was man dagegen tun kann – gegen die Unterdrückung und natürlich auch gegen das institutionalisierte Unwissen. In dem Dokumentarfilm begleiten wir queere, überwiegend lesbischer Punks, die bei ihren Protesten in den 80er-Jahren in England eine neue, lesbische und transpositive Ästhetik des Widerstands entwickelt haben. Eine kleine Erinnerung, dass grundsätzliche Frauenrechte (übrigens auch in Deutschland) maßgeblich von queeren Frauen erkämpft wurden.
Die Philosophin Agnes Heller schrieb einmal „Die Frauenbewegung [und hier können wir heute getrost von einem intersektionellen, queeren Feminismus sprechen] ist die bisher größte Revolution der Menschheit, und im Gegensatz zu allen anderen Revolutionen wird sie eines Tages vollendet sein.“ Als ich die Zeilen vor ein paar Jahren das erste Mal lese, muss ich fast weinen. Als ich diesen Film sehe, ist mir sofort klar: Er begleitet eines der wichtigsten Stücke dieses Wegs und erzählt vom Glück, das Queerness und Widerstand und Ausgelassenheit bedeuten. Queere Menschen haben die Elektronische Musik erfunden und die besten Klassiker geschrieben. Jetzt ist es Zeit, unsere Geschichte zu erzählen.